B Ü C H E R                A U T O R E N                V E R L A G               

Reichenauer Texte und Bilder

Walahfrid Strabo

De cultura hortorum (Hortulus)
Das Gedicht vom Gartenbau.
Eingeleitet und herausgegeben von Walter Berschin.
Mit Pflanzenbildern von Claudia Erbar und einem Beitrag
von Wolfgang Fels «Ein Gärtchen nach Maß»
(Reichenauer Texte und Bilder Band 13)

2010, 2. Aufl., kt., 106 S., 28 Abb. (davon 24 in Farbe), 9,90 € [D], ISBN 978-3-86809-040-6

Walahfrids Hortulus ist die gegenwärtig bekannteste Dichtung der Karolingerzeit.
Der Reichenauer Mönch und zeitweise Aachener Hofdichter Walahfrid Strabo († 849)
schildert in 444 Versen 23 Gartenpflanzen, angefangen vom Salbei bis zur Rose. In
Walahfrids gekonnten Hexametern, die im lateinischen Original und in deutscher
Übersetzung erscheinen, wird mit wechselndem Schwerpunkt der Pflanzen Form,
Farbe, Duft, Ertrag, Geschmack und medizinischer Wert geschildert. Die neue Edition
beruht auf sechs Handschriften; zwei davon sind erstmals für eine Ausgabe herangezogen.
Fünf der Handschriften sind glossiert; die älteste Schicht dieser Glossen ist in einem
eigenen Apparat kritisch ediert.

 

XV LILIUM

Lilia quo versu candentia carmine quove

Ieiunae macies satis efferat arida Musae?

Quorum candor habet nivei simulacra nitoris,

Dulcis odor silvas imitatur flore Sabeas.

Non Parius candore lapis, non nardus odore

Lilia nostra premit; nec non si perfidus anguis

Ingenitis collecta dolis serit ore venena

Pestifero, caecum per vulnus ad intima mortem

Corda feram mittens, pistillo lilia praestat

Commacerare gravi sucosque haurire Falerno.

Si, quod contusum est, summo liventis in ore

Ponatur puncti, tum iam dinoscere vires

260 Magnificas huiusce datur medicaminis ultro.

Haec etiam laxis prodest contusio membris.

XV LILIE

Leuchtende Lilien, wie soll im Vers und wie soll im Liede

Würdig euch preisen die dürftige Kunst meiner nüchternen Muse?

Euer schimmerndes Weiß ist Widerschein schneeigen Glanzes,

Holder Geruch der Blüte gemahnt an die Wälder von Saba.

Nicht übertrifft an Weiße der parische Marmor die Lilien,

Nicht an Düften die Narde. Und wenn die tückische Schlange

Listiger Art gesammeltes Gift aus verderblichem Munde

Spritzt und grausamen Tod durch kaum erkennbare Wunde

Sendet ins innerste Herz, dann zerreibe Lilien im Mörser,

Trinke den Saft, dies erweist sich als nützlich, mit schwerem Falerner.

Oder bei Quetschungen lege man sie auf die bläuliche Stelle,

Alsbald wird man auch hier zu erkennen vermögen die Kräfte,

Die diesem heilenden Stoffe gegeben sind, Wunder bewirkend.

Schließlich ist Liliensaft auch gut bei gelockerten Gliedern.